Veränderung tut weh – und passiert deshalb oft nicht
Change-Prozesse, Veränderungsmanagement, Innovationsstrategien – es wird viel in großen Firmen unternommen, um den Geschäftserfolg zu verbessern oder zu verstetigen. Und das geht nur, wenn die Organisation, das Unternehmen sich stetig weiterentwickelt – also verändert. Diese These wird sicher keinen überraschen. Dass Veränderungsprozesse sehr oft nicht gelingen, vielleicht schon. Studien belegen, dass etwa nur jeder sechste Veränderungsprozess gelingt (nachzulesen z.B. in der Mutaree-Studie, die vom Handelsblatt in Auftrag gegeben wird: https://mutaree.com/studien-uebersicht/ ).
In Anbetracht der Tatsache, dass viel Aufwand in Veränderungsprozesse und die Umsetzung von Innovationen gesteckt wird. Da liegt es auf der Hand, dass der wirtschaftliche Schaden durch nicht gelungene Prozesse enorm ist. Die Frage „Was steckt hinter diesem Scheitern?“ braucht also eine Antwort.
Es liegt an mangelnder Führung, sagen die einen; an zu wenig Partizipation, die anderen, und wieder andere machen zu große Veränderungsschritte als mögliche Ursache aus. Manche behaupten auch, es läge an schlechter Planung oder zu wenig Kommunikation. Es brauche also nur ein gutes Change-Management, dann klappt das mit der Veränderung. Und genau das stimmt nicht, so meine These. Die wirkliche Ursache liegt woanders …
Und dieses „Woanders“ möchte ich nun mit Ihnen erkunden.
Stellen Sie sich vor, Sie wollen umziehen und haben auch eine neue Wohnung gefunden. Sie freuen sich sehr auf die neuen vier Wände. Und dann kommt der Tag, an dem Sie die alte Wohnung verlassen müssen. Vielleicht haben Sie es schon vorher gespürt – vielleicht aber auch erst genau in diesem Moment: es stellt sich eine Wehmut, ein Abschiedsschmerz ein. Egal, warum Sie die Wohnung verlassen, es gibt sicher etwas, was Sie trauern lässt: um die netten Nachbarn, um die Lieblingspizzeria am Eck, um die Morgensonne in der Küche. Diesen Schmerz nehmen Sie in Kauf und sind bereit, ihn zu ertragen und auszuhalten, weil Sie sich ja auf die neue Wohnung freuen.
Und jetzt übertragen wir diesen Gedanken auf eine Veränderung in einem Unternehmen, einer Organisation. Die meisten Change-Prozesse werden nicht von den Mitarbeitenden initiiert, passieren also oder werden verordnet. Ob sich jemand auf die Veränderung, auf das Neue, was kommen soll freut ist also ein bisschen zufallsgesteuert. Es könnte eine Erleichterung für den Arbeitsalltag bedeuten, der Persönlichkeit des Mitarbeitenden entsprechen, etwas sein, was er oder sie schon lange wollte. Dann stellt sich Freude ein. Es könnte aber auch sein, dass mehr Arbeit erwartet wird, ein neues Team, ein:e neue:r Chef:in, andere Tätigkeiten oder Abläufe, die erlernt bzw. eingeübt werden müssen. Kurz und gut, die Liste mit Gründen, sich nicht zu freuen und die Veränderung nicht zu begrüßen, ist lang und individuell von den betroffenen Menschen abhängig.
Der Grad der Schmerzen, den die Veränderung mit sich bringt, kann von lästig bis unerträglich gehen. In jedem Fall wird versucht, diesem Schmerz auszuweichen und ihn zu vermeiden. Das ist menschlich, das machen wir alle so. Das heißt nichts anderes, als dass Teams oder einzelne Mitarbeitende alles daransetzen werden, die Veränderung zu verhindern, zu blockieren oder zu verlangsamen.
Das Ergebnis unserer Erkundung lautet also – Veränderung tut weh
Wer den Schmerz, die Wehmut, die Trauer nicht aushalten möchte, die eine Veränderung mit sich bringt, der wird versuchen, sie zu vermeiden und die Veränderung zu verhindern.
An dieser Stelle nutzen auch Transparenz, Partizipation oder gute Planung nichts. Selbst gute Führung kann an den Schmerzvermeidungsstrategien scheitern. Jetzt bitte nicht falsch verstehen: diese vier Parameter Transparenz, Partizipation, gute Planung und starke Führung halte ich für unbedingt nötig, damit ein Change-Prozess gelingt. Das ist das Handwerkszeug, das nötig ist. Es kann aber nur wirken, wenn die Schmerzen, die eine Veränderung immer hervorruft, in einer angemessenen Form wahrgenommen werden. Sie zu ignorieren, führt automatisch zu einer Verstärkung und damit zu mehr Widerstand.
Wir haben viele solcher Prozesse begleitet, und mein Fazit lautet:
Wer sich Zeit für den Veränderungsschmerz nimmt, braucht dafür zu Beginn des Change-Prozesses Zeit, spart aber im weiteren Verlauf enorm, weil Widerstände entweder gar nicht erst entstehen oder aber deutlich geringer ausfallen. Zudem möchte ich unbedingt empfehlen, diese Phase extern begleiten zu lassen, weil es echt schwierig ist, den Prozess der Schmerzwahrnehmung und -benennung zu moderieren, wenn man selbst Teil des Veränderungsprozesses ist. Und auch das spart am Ende – denn die Kosten für eine Begleitung fallen sicher niedriger aus als die eines gescheiterten Change-Prozesses.
Zusammengefasst heißt das:
Schmerz wahrnehmen, bearbeiten, Handwerkliches im Veränderungsprozess gut umsetzen sowie sicher, stark und eindeutig durch den Prozess führen. Damit steigen die Chancen auf Gelingen um ein Vielfaches. Ebenso steigen das Vertrauen, ein konstruktives Miteinander und die Kreativität. Es lohnt sich also auf vielen Ebenen, dem Schmerz angemessen zu begegnen.